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Mit „Respekt“ gehen wir in die Offensive

Berliner Ratschlag für Demokratie: Herr Busch Petersen, Respekt, Vielfalt, Anerkennung, das sind die Themen des Ratschlags, warum sind das auch Leitbegriffe, die einen Handelsverband interessieren?

Nils Busch-Petersen: Weil erfolgreicher Handel gar nicht ohne diese Elemente vorstellbar ist. Es sind die uralten Elemente und Werte, die für einen zuverlässigen, ehrbaren Kaufmann stehen wie kaum irgendwas anderes. Kaufleute verbinden seit Jahrhunderten die Welt. Sie transportieren nicht nur Waren, sondern auch Ideen bis hin zu Wertvorstellungen. Kaufleute verbinden Völker und dies bereits seit Zeiten, als kaum ein anderer Mensch ans Reisen dachte. In dieser Tradition stehen Kaufleute natürlich noch heute.

BRFD: Aber es scheint so zu sein, dass zumindest bestimmten Handelssparten recht wenig Respekt entgegengebracht wird. Ein Beispiel: Heute kann man viel Aufmerksamkeit erzeugen, wenn man sagt, dass Türken und Araber angeblich keine produktive Funktion haben, außer für den Obst- und Gemüsehandel. Ärgert Sie so etwas?

NBP: Ja, das ärgert mich. Aber es ärgert mich übrigens gar nicht primär nur, weil ein Teil der Bevölkerung dabei diskriminiert wird, sondern weil der Urheber dieser wenig sachkundigen Zeilen hier spätestens sein volkswirtschaftliches Nichtwissen unter Beweis stellt. Und das bei Herrn Sarrazin, den man für ökonomisch hochgebildet hielt! Wer den Anteil des Handels an der Wertschöpfung in der Gesellschaft so gering achtet, wer den Klein-Handel abfällig wie ein Schimpfwort handhabt, der zeigt erstens, dass er nicht weiß, was dort geleistet wird – und was das übrigens auch für eine Knochenarbeit ist – und zweitens begreift er nicht, wie wichtig ein funktionierendes Versorgungssystem zum Beispiel in einer Metropole ist. Wie wichtig Handelsangebote sind, damit ein Organismus wie eine Stadt, überhaupt leben und ein Gemeinwesen Finanzsenatoren bezahlen kann oder gar Bundesbankvorstände. Ich habe keine schlechte Meinung von Herrn Sarrazin, aber das hier war die falsche Schublade, zu weit unten.

BRFD: Kooperation und Respekt, das sind also gewissermaßen die Grundessenzen des Handels. Dabei fällt auf, dass die Geschäfte des Einzelhandels ja oftmals die ersten öffentlichen Angriffsziele von Rechtsextremisten sind – vor allem historisch, wie wir wissen, aber auch aktuell. Warum stehen Geschäfte und Läden eigentlich so oft im Zentrum rechter Attacken? Wie erklären Sie sich das?

NBP: Weil sie in besonderer Weise Präsenz zeigen und jemandem direkt zuzuordnen sind. Das ist immer so gewesen. Wir Kaufleute gestalten mit unseren Schaufenstern ganz erheblich das Gesicht der Stadt. Ein Angriff auf ein Geschäft ist auch immer ein Angriff auf das Bild der Stadt in der Öffentlichkeit. Man überschreitet noch nicht die Schwelle, eine staatliche Einrichtung anzugreifen, aber kann sich sozusagen bei den Kaufleuten das Mütchen kühlen.

Historisch blicken wir natürlich auf die besonders schlimmen Ereignisse der Reichspogromnacht, die wir deshalb auch Reichskristallnacht nennen können, weil der Begriffsinhalt auf die zerstörten und zerschlagenen Schaufenster und ihre Auslagen zurück zu führen ist und Menschen auf der ganzen Welt dieses Wort kennen. Damals sind in einer Nacht über 7.500 Geschäfte zerstört und geplündert worden, da tobte sich der Mob organisiert aus. Die Opfer waren die noch vorhandenen jüdischen Einzelhändler, die Jahrhunderte lang ganz maßgeblich das Gesicht des Handels geprägt haben.

Auch heute prägen Minderheiten das Gesicht des Handels wesentlich mit und es gibt primitive Anfeindungen, dass man besser bei Türken nicht einkaufen ginge – wer weiß, wo das herkäme – und ähnliches. Da ist genau der gleiche geistige Bodensatz darin. Oder vietnamesische Blumenhändler in irgendeiner Weise zu diskriminieren, nur weil die eben besonders gute und fleißige Blumenhändler sind. Aber genau, weil es so was immer wieder gibt, müssen wir aufpassen, gegensteuern und Flagge zeigen! Es geht darum, sich offensiv mit Geisteshaltungen auseinanderzusetzen, die in der Gesellschaft inakzeptabel sind.

BRFD: Sie setzen sich persönlich sehr für die Erinnerung an die historischen Spuren und die Innovationen jüdischer Handelshäuser ein, aber auch die antisemitische Kampagne gegen den jüdischen Einzelhandel während des Nationalsozialismus hat Sie beschäftigt. Was bewegt Sie an dieser Geschichte besonders?

NBP: Soweit es meine Zeit erlaubt, befasse ich mich generell sehr intensiv mit Handelsgeschichte. Es ist so, dass man sich viel zu wenig mit diesem Stück Alltagskultur zurückblickend beschäftigt, um daraus auch Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wirtschaftsgeschichte in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten immer ein schwieriges Feld gewesen. Wir sehen ja, dass auch andere Wirtschaftszweige sich schwer getan haben, insbesondere dann, wenn die Aufarbeitung und die Befassung mit der Geschichte an die Jahre von 1933 bis 1945 herankam.

Es ist wichtig sich zu vergegenwärtigen, dass in einigen Wirtschaftszweigen viele stillschweigende Profiteure der damaligen Ereignisse die Befassung mit der Zeit des Nationalsozialismus ausblenden. Ich mache keinen Hehl daraus, dass auch der Einzelhandel davon betroffen ist. Ich habe in den letzten Jahren 70- und 75-jährige Firmenjubiläen immer erst besucht, nachdem ich mich erkundigt hatte, denn vergessen wir nicht, dass der allergrößte Teil der jüdischen Kaufleute in seine Läden nicht wieder zurückkehrte, aber die Läden weitergeführt wurden. Also, wenn da jemand 1938 im Herbst einen Laden eröffnet oder übernommen hat, dann müsste man eigentlich schauen, auf welcher Basis diese Existenzgründung erfolgte. Wir vom Handelsverband gehen da nicht blind durch die Gegend. Wir tun uns möglicherweise leichter als andere Einrichtungen, weil wir selbst als demokratiekompatibler Bestandteil der Interessenvertretung unmittelbar nach den Gewerkschaften in der NS-Zeit auch verboten und aufgelöst wurden. Das Prinzip freier Verbände, mit einer inneren Demokratie passte nicht in das System des Nationalsozialismus und übrigens auch nicht in das sich anschließende System des real existierenden Sozialismus im Osten Deutschlands.

BRFD: Wie kann die Auseinandersetzung mit der Geschichte für die heutige Auseinandersetzung mit Menschenverachtung fruchtbar gemacht werden?

NBP: Ein Beispiel: Aus der Befassung mit der Familiengeschichte und der Lebensgeschichte von Oskar Tietz, dem Gründer der legendären Hermann-Tietz-Gruppe sind mittlerweile Dinge entstanden, die unmittelbar gegenwarts- und zukunftsbezogen sind.

Aus der Befassung mit der Geschichte von Oskar Tietz heraus gab es eine intensivere Auseinandersetzung mit dem gesamten Kontext jüdisch-deutscher und auch Handelsgeschichte. Das führte dazu, dass 2008, im Jahr seines 150. Geburtstages, nicht von oben verordnet, sondern von der Schule gewünscht, das Oberstufenzentrum Handel II in Berlin, eine der größten Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung der Stadt mit 2.500 Schülern und Azubis, den Namen „Oskar Tietz Schule“ angenommen hat. Damit haben Azubis, Schüler, Lehrer und Kaufleute ihm das Denkmal gesetzt, was ihm diese Stadt immer schon schuldig war.

Natürlich fangen die Schüler und Auszubildenden schon bei der Namensnennung der Schule an, sich mit der Person und ihren Leistungen auseinandersetzen. Dort wird über die Biografie und die Geschichte des Unternehmens geredet und gearbeitet, auch ein bisschen geforscht. Das war es auch, was das Schulkollegium erreichen wollte. Ich weiß noch, als wir kurz vor der Namensnennung mit den Lehrern und den Schülervertretern zusammengesessen haben und ich gesagt habe: „Ihr müsst doch wissen, dass am Tag nach der Umbenennung mit gelber Farbe an der Schule „Judenschule“ stehen kann. Und dann lautete die Antwort: „Genau darauf sind wir vorbereitet. Wir haben uns auf die Auseinandersetzung eingestellt.“ Das hat mich sehr bewegt.

Sehr bewegend war außerdem, dass wir zu diesem Anlass die Nachkommen von Oskar Tiez aus den Vereinigten Staaten und aus der Schweiz, zu Gast hatten. Für sie war das, wie sie mir hinterher sagten, eine der wichtigsten Tage ihres Lebens.

Und dann sagten die Schüler der Oskar-Tietz-Schule: „Wir würden gerne mal den Geburtsort von Oskar Tietz – Miedzychod/Birnbaum an der Warthe – sehen“. Unsere „Patenstadt“, sagen wir im Verband. Es ist bemerkenswert, wie in einer polnischen Stadt an einen deutschen Juden so würdevoll erinnert wird. Die Schüler wollten das kennenlernen und wir sind mit den Schülervertretern hingefahren. Pfingsten 2009 haben bei der Gelegenheit für die dortige Berufsschule eine polnische Übersetzung meines kleines Büchleins über Oskar Tietz mitgebracht. Aus dieser ersten Begegnung von Jugendlichen heraus ist bei denen – und das haben wir uns nicht ausgedacht – der Wunsch entstanden, dass dieses riesige Berliner Bildungskombinat und die kleine kommunale Berufsschule von Birnbaum an der Warthe jetzt eine langfristige Patenschaft eingegangen sind.

Solche Dinge können entstehen, wenn man sich mit der Geschichte befasst. Deutsche und Polen finden über die Auseinandersetzung mit der Geschichte gemeinsame Zukunftsthemen – das finde ich wichtig.

BRFD: Mit welcher Herangehensweise setzt sich der Handelsverband für Demokratie und Respekt ein?

NBP: Mir gefällt, dass wir mit diesen positiven Begriffen in die Offensive gehen können: In Offensive für Toleranz und Mitmenschlichkeit. Mit dieser Herangehensweise können wir übrigens gegen jede Form der Intoleranz vorgehen, z.B. auch gegen linksextreme Intoleranz bis hin zum linken Antisemitismus. Vor diesen Themen sollte man sich nicht verstecken, auch wenn ich die Problemschwerpunkte absolut im rechten Spektrum sehe. Und genau deshalb finde ich, mit dem breiteren Ansatz für Respekt und Demokratie lässt es sich gut vermitteln, wofür es zu streiten und wofür es zu leben lohnt. Das erscheint mir der richtige Weg zu sein, der langfristig erfolgreich ist.

Selbstverständlich müssen wir uns aber auch für die unmittelbare Auseinandersetzung mit besonders gefährlichen Verhaltensweisen rüsten. Deshalb haben wir zusammen mit ver.di und dem DGB das Projekt „Handeln statt wegsehen“ entwickelt, wo wir insbesondere Ausbilder und Berufsschullehrer fit machen für die inhaltliche und verbale Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus.

Wir setzen dabei nicht auf den Kracher und den schnellen Erfolg, sondern bieten ständig aktualisiertes Fortbildungsmaterial und vermitteln Weiterbildung für das pädagogische Personal. Wir sind damit seit einigen Jahren recht erfolgreich. Es gibt Unternehmen, die das inzwischen sogar in die nationale Ausbildungslinie umgesetzt haben: Kaufhof zum Beispiel setzt unser an sich für die Regionen hergestelltes Material bundesweit bei den Fortbildungen der Ausbilder ein. Und das lässt uns hoffen, dass das dauerhaft trotz des relativ kleinen Budgets eine sinnvolle Geschichte ist.

BRFD: Wir sind also auf einem guten Weg?

NBP: Naja, ich fürchte, dass der Schutzmantel der Demokratie in Form von tolerantem, weltoffenem Verhalten in Wahrheit wahrscheinlich noch dünner ist als der steinerne Teil der Erdhülle. Also sind wir schon sehr gefährdet, wenn ein kleiner Meteorit kommt. Das macht mir große Sorgen. Als Pankower war ich z.B. erschüttert, welche Auseinandersetzungen um den Bau einer kleinen Moschee an einer Autobahnzufahrt hinter einem Hühnchenimbiss und einem Autohaus, geführt wurden. Da wurden Abgründe sichtbar! Dass Leute von bürgerlichen Volksparteien bereit waren, mit Nazis an Demonstrationszügen teilzunehmen; dass der gute, kleinbürgerliche Nachbar – von Gartenzaun zu Gartenzaun – üble Propaganda entfacht hat; dass sich Pastoren teilweise von solchen Geisteshaltungen vereinnahmen ließen, ja, dass selbst die Spitzen christlicher Kirchen sich nicht sofort klar positionierten, das zeigt, dass wir noch viel zu tun haben.

Diese Moschee steht jetzt seit zwei Jahren und hat einen regen Kontakt in ihre Nachbarschaft. Die von meiner Tochter mitbetreute Konfirmandengruppe der benachbarten evangelischen Gemeinde war gerade dort zu Besuch. In den ganzen zwei Jahren ist alles, was vorhergesagt wurde – von Schießereien, Bandenkämpfen, bis Verfall der Grundstückspreise – nicht eingetreten. Und umso erschütternder ist es, wie bereitwillig Menschen unterwegs waren, eine Front gegen eine religiöse Minderheit zu bilden. Das ist für mich ein Fanal, weil es zeigt, wie viel wir noch tun müssen, damit demokratisches und tolerantes Denken und Verhalten wirklich verinnerlicht werden.

BRFD:
Herr Busch-Petersen, vielen Dank.

 

Weiterführende Informationen und Literatur:

Busch-Petersen, Nils: Oscar Tietz. Von Birnbaum/Provinz Posen zum Warenhauskönig von Berlin. Reihe „Jüdische Miniaturen“ Hentrich&Hentrich Verlag. Teetz 2004.

Initiative „Handeln statt Wegsehen“ http://www.handeln-statt-wegsehen.de

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